»Die Geliebte.
Was es heißt, die Andere zu sein«
Lesung und Diskussion
In der Geschichte waren sie nicht selten schillernde Gestalten, die es verstanden, als Mätresse
oder Konkubine eines einflussreichen Fürsten zwar inoffiziell, aber höchst effizient die
Schalthebel der Macht mitzubedienen - man denke nur an das goldene Zeitalter des Sonnenkönigs
Ludwig XIV. Und heute? Früher machten Geliebte Geschichte, heute machen sie allenfalls
noch Geschichten.
Für die Ehefrauen sind sie im harmlosesten Fall ein Alltagsärgernis, oft aber eine anonyme,
existenzgefährdende Bedrohung, die zur alles zerstörenden Egozentrikerin stilisiert wird.
Doch was sind das wirklich für Frauen, die aus der scheinbar emanzipierten Lebensform der
»Geliebten« eines verheirateten Mannes unversehens in einen Teufelskreis aus
Abhängigkeiten und Heimlichkeiten geraten?
Geliebte sind nur allzu oft Frauen im Zwiespalt, die ihr schlechtes Gewissen verdrängen und sich
das Paradies der gestohlenen Stunden mit Sehnsucht, Einsamkeit und Frustration erkaufen. Nur
jeder zehnten Geliebten ist das vermeintliche Glück beschieden, zur Ehefrau zu avancieren.
Die leidende Geliebte ist in aller Regel eine Frau, die, allen Klischees zum Trotz, ein
Schattendasein führt.
Was sind das für Frauen, die meist freiwillig zur »Anderen«, zur Freundin eines
verheirateten Mannes geworden sind?
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Sie sind anspruchsvoll, intelligent, beruflich qualifiziert
- und sie haben ursprünglich einmal, bewusst oder unbewusst, das Liebesglück »pur« gesucht.
»Ich glaube, dies Spießer, die immer empört fragen, woher eine Frau die Unverfrorenheit
nimmt, in eine fremde Ehe einzubrechen, können nicht ermessen, welchen seelischen Schmerz die
Geliebte eines verheirateten Mannes durchleidet. Eine solche Liebe besteht oft nur durch
Aufopferung und durch Nicht-alles-Verlangen. Oft ist man zerrissen von tausend sich
widersprechenden Gefühlen. Mein Freund sprach oft von dem Graben, der zwischen uns war. Aber
er führte keine Änderung herbei - ich begreife es bis heute nicht.«
Was sich mit der Zeit aus dem Verhältnis zum gebundenen Freund entwickelt, können sie dann allerdings
kaum noch steuern. Aus der erhofften Freiheit wird Abhängigkeit. Das Leben der »anderen
Frau« ist geprägt von Heimlichkeiten, Warten, Seligkeit für Stunden, Frustration, Depression
und Selbstzweifeln. Seine knapp bemessene Zeit und der Zwang zur Geheimhaltung treiben mache
Geliebte in die Isolation. Die Angst, das einzig Wichtige in ihrem Leben zu verlieren und dann völlig
allein zu sein, hindert sie daran, aus einer Beziehung auszubrechen, die eher mit Leiden als mit
Liebe zu tun hat.
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