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Kleiner Eingriff -
großes Trauma?

Trauma

Vorwort

 

»Der Schutz des ungeborenen Lebens ist eigentlich ein Schutz der Männer und ihrer Vorherrschaft über die Frauen.«

Margarethe Mitscherlich, Psychoanalytikerin

Dieses Buch behandelt ein Politikum. Es geht darin um die Frage, ob, und wenn ja, warum Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch seelisch krank werden können.

Da sich aber die Probleme von Frauen nach Schwangerschaftsabbrüchen nicht losgelöst von politischen, gesellschaftlichen, kirchlichen, moralethischen und wirtschaftlichen Einflüssen betrachten lassen, behandelt dieses Buch mehr als nur die Frage: Unter welchen Bedingungen entscheidet sich eine Frau gegen ein Kind, und warum verkraftet sie es dann später nicht?

Im Unterschied zu anderen psychischen oder psychosomatischen Problemen sind die seelischen Schwierigkeiten, die Frauen nach einer Abtreibung beeinträchtigen können, in aller Regel hausgemacht oder zumindest durch eine Vielzahl von Faktoren provoziert. Sie wären wohl in den meisten Fällen abwendbar oder zu verhindern, wenn mit der Abtreibungsfrage anders umgegangen würde. Manche Depression, manches Schuldgefühl und Absinken der Selbstachtung wäre vermeidbar, würden Mutterschaft einerseits und das »Nein« zum Kind andererseits nicht unter ideologischen und moral-ethischen Aspekten zu Weltanschauungsfragen hochstilisiert.

Um es vorweg zu nehmen: Allen Gerüchten zum Trotz führen Abtreibungen nicht zwangsläufig zu psychischen Schwierigkeiten. Die große Mehrheit der Frauen, die ich gesprochen habe, hatte nach ihrem Schwangerschaftsabbruch gar nicht oder nur sehr vorübergehend mit seelischen Problemen zu kämpfen. Diesen Frauen ist die Zeit davor viel frischer und grausamer im Gedächtnis haften geblieben - die Zeit der Angst, der Konflikte, des Zeitdrucks, des Entscheidungszwangs, der Organisation. Davon zeugen die meisten der authentischen Berichte im zehnten Kapitel dieses Buches.

Meine Untersuchungen deuten darauf hin, daß Frauen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen Probleme mit der Verarbeitung einer Abtreibung bekommen. Es sind Probleme, die mit verdrängten Kinderwünschen, mit Zwängen von außen oder mit moralischen Druck zu tun haben. Frauen, die schon Kinder geboren haben, die "aus Vernunft" oder deshalb abtreiben, weil sie sich psychisch oder physisch einem (weiteren) Kind nicht gewachsen fühlen, bekommen eher seelische Probleme als andere. Besonders Frauen, zu deren Lebensgefühl und Selbstverständnis Mutterschaft und Mutterrolle gehören, verarbeiten das Abbruchereignis schwerer, ebenso Frauen, die sich ohnehin schon in einer Lebenskrise befanden, als sie ungeplant schwanger wurden.

Abtreibungen aber lösen nicht Depressionen und andere seelische Erkrankungen aus - sie akzentuieren und verstärken bereits vorhandene Schwierigkeiten und/oder spiegeln die Schwierigkeiten von Frauen wider, sich über verlogene, verklemmte und überkommene Wertvorstellungen hinwegzusetzen, um frei, selbstverantwortlich und verantwortungsbewußt über sich selbst und das in ihnen keimende Leben zu bestimmen.

Wenn der moralische Zeigefinger zugunsten des »ungeborenen Kindes« erhoben wird, dann stehen dahinter nicht generell hehre humanistische Ziele. Unter der Flagge des Lebensschutzes werden Frauen als Mörderinnen diffamiert und Interessen von Staat und Kirche verfolgt. Es wird Hilfe statt Strafe propagiert, doch Hilfe wird noch viel zu klein geschrieben.

Deshalb handelt dieses Buch nicht nur von den Ursachen, Hintergründen und Auswirkungen problematischer Verarbeitung. Es widmet sich auch den Fragen, die größere Zusammenhänge aufzeigen: etwa der nach dem Schicksal unerwünschter Kinder oder nach der immer wieder angebotenen Alternative Adoption statt Abtreibung. Es wird auch die Geschichte der Familienplanung nachgezeichnet, denn sie macht überdeutlich, warum die Abtreibung als Selbstbestimmungsrecht der Frau so schwer durchsetzbar ist.

In den Diskussionen um die Abtreibungsfrage geht es in der Gegenwart zwar vorrangig um den Schutz des ungeborenen Lebens (und wer schützt das geborene?). Doch ob Frauen abtreiben dürfen oder nicht, das war immer schon eine Frage der jeweiligen Bevölkerungs- und Familienpolitik. Brauchte man(n) Arbeitskräfte und Krieger, war Abtreibung, ja sogar Verhütung verpönt, verboten, strafbar. Wollte man(n) der Geburt unerwünschter Erben oder dem Anwachsen »minderwertiger« Rassen vorbeugen, wurde Zwangsabtreibung und Sterilisation verordnet. Der Bauch der Frau war stets fremdbestimmt. Er stand und steht fast immer im Dienste von bevölkerungspolitischen und Machtinteressen. Die Grüne und Feministin Verena Krieger bringt es auf den Punkt: »Der seit Jahrhunderten währende Kampf um den Zugriff auf die menschliche Reproduktion ist zugleich ein Kampf um gesellschaftliche Machtverhältnisse«.

Aus dieser Sicht ist es kein Zufall, wenn Frauen nach einer Abtreibung seelische Probleme bekommen. Hinter der Behauptung, Abtreibungen machten seelisch krank, steht Politik. Schon die heftigen Diskussionen um die Einführung der Abtreibungspille RU 486 in Deutschland sprechen eine deutliche Sprache: Der schonende Schwangerschaftsabbruch ist gesellschaftlich nicht unbedingt erwünscht. Überspitzt formuliert: Wenn Frauen sich erdreisten, das werdende Leben in ihrem Bauch töten zu lassen, dann sollen sie es auch zu spüren bekommen - Strafe muß sein.

Es sind nicht viele Frauen, die seelisch Schaden nehmen an einem Schwangerschaftsabbruch die Schätzungen reichen von null bis zwanzig Prozent, wobei von diesen angenommenen zwanzig Prozent wieder nur einige wenige Frauen längerfristig psychisch beeinträchtigt sind. Äußerst aufschlußreich ist, daß das Gerücht der seelisch krankmachenden Schwangerschaftsabbrüche erst die Runde macht, seit Frauen für eine Abtreibung nicht mehr generell in die Illegalität müssen und seit die Risiken des Schwangerschaftsabbruchs durch die Fortschritte der Medizin drastisch reduziert worden sind. Deshalb lohnt es sich, die wahren Ursachen seelischer Probleme nach Abtreibungen unter die Lupe zu nehmen.

Um einem Fehlschluß vorzubeugen: Mit diesem Buch möchte ich keineswegs den Schwangerschaftsabbruch als ideale Möglichkeit zur Geburtenregelung propagieren. Aber ich trete für das im Grundgesetz verankerte Recht der Frau auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit ein. Ich möchte aufklären über die Zusammenhänge zwischen wie auch immer gearteten Zwängen und Beeinflussungsmanövern und ihren psychischen Folgen. Und ich möchte Frauen Mut machen, eigenverantwortlich »Ja« oder »Nein« zum Kind zu sagen, denn die meisten Frauen spüren und wissen genau, wann und ob die Zeit für ein Kind günstig ist.

Wenn Frauen in Selbstbestimmung, nach Prüfung ihrer inneren Verfassung und ihrer äußeren Möglichkeiten, eine verantwortliche Entscheidung treffen können, dann ist die Gefahr, diese Entscheidung später zu bedauern, außerordentlich gering. Frauen treiben nicht leichtfertig ab. Ihr »Nein« zum Kind kann sehr viel mit Verantwortungsbewußtsein zu tun haben. Ich möchte auch ein bißchen mehr Verständnis für die Tatsache wecken, daß es Lebenssituationen gibt, in denen frau nur eine Wahl hat.

Es gibt wohl keine Frau, die sich gern der nicht selten erniedrigenden Prozedur einer Abtreibung unterzieht. Eine Abtreibung hinterläßt, wenn überhaupt etwas, dann doch immer ein kleines Trauma: die Angst, erneut wider Willen schwanger zu werden. Deshalb habe ich im Ratgeberteil nicht nur die Wege zum Schwangerschaftsabbruch und die einschlägigen Adressen aufgeführt, sondern auch eine kleine Übersicht über Verhütungsmittel und Methoden eingebaut. Leider ist Verhütung nach wie vor zu neunzig Prozent Frauensache...

Apropos - wo bleiben die Männer? Keine Frau ist jemals ohne das Zutun eines Mannes schwanger geworden. Aber die Schuldfrage bei der ungewollt eingetretenen Schwangerschaft richtet sich grundsätzlich nur an die Adresse der Frau. Wenn die Frau unbeabsichtigt schwanger geworden ist, wird nur sie zur Verantwortung gezogen, und meist muß sie allein die Folgen tragen.

Männer müssen keine Kinder bekommen, Männer müssen sich noch nicht einmal alle vier Wochen mit einer lästigen, oft schmerzhaften Blutung herumquälen. Die radikalsten Abtreibungsgegner sind meistens Männer. Doch sind Männer auch die opferbereitesten, fürsorglichsten und liebevollsten Elternteile? Vielleicht manchmal, aber in der Regel ist es doch die Frau, die die Zuständigkeit für die gemeinsamen Kinder übernimmt. Machen sich diese Männer auch Gedanken darüber, welchen Bärendienst sie mit ihrem Engagement für den Lebensschutz um jeden Preis den »geretteten« Kindern erweisen?

Es bleibt wohl auch in Zukunft dabei: Männer machen Gesetze - Frauen treiben ab. Unsere Umwelt ist alles andere als kinderfreundlich. Eine Politik, die auf Bevölkerungswachstum abzielt, muß zu allererst Frauen und Familien das »Ja« zum Kind erleichtern. Kinder können eine große Bereicherung sein. Solange aber das Gebären und Großziehen von Kindern trotz aller staatlichen Bonbons zu nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch beruflichen und sozialen Nachteilen führt, sind die Anreize gering, die zwangsläufigen Lasten der Mutter- und Elternschaft auf sich zu nehmen.

Der Bauch der Frau gehört ihr. Sie ist für ihn verantwortlich. Nur, wenn ihr die Möglichkeit gegeben wird, diese Verantwortung zu nutzen und sich ohne gesellschaftlichen moralischen Zwang und Druck von außen für oder gegen den Fötus zu entscheiden, kann sie zu einem Entschluß finden, der für sie tragbar ist. Und das ist die wesentliche Voraussetzung dafür, einen Abbruch ohne seelische Blessuren zu verkraften.

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